Alternatives Wirtschaftssystem

Theologe fordert Kapitalismuskritik von Kirchen

Kirchen müssen sich nach Ansicht des evangelischen Theologen Ulrich Duchrow stärker für ein alternatives Wirtschaftssystem einsetzen. Die Zinsen führen dazu, dass die Geldmenge weiter wächst, denn es gibt mehr Geld als Waren.
Glaubensgemeinschaften stellten den Kapitalismus an sich nicht infrage, beklagt der Professor der Universität Heidelberg. Duchrow fordert aber die Kirchen auf, Bündnisse mit Gewerkschaften und sozialen Bewegungen zu bilden, um Druck gegen Privatisierungen und die Herrschaft der Finanzmärkte auszuüben.
 
Daneben müssten auch Tauschringe, Konsum- und Produktionsgenossenschaften unterstützt werden. Der Grund für die fehlende Systemkritik der Kirchen ist nach Duchrows Ansicht, dass sie von den «Mächtigen» vereinnahmt sind.

«Einfluss nehmen»

Dennoch hat die Kirche nach Duchrows Meinung die Macht, das Wirtschaftssystem zu beeinflussen. «Nicht nur Strukturen müssen verändert werden, sondern auch unser Denken und Handeln.» Als Beispiele für die Veränderungskraft der christlichen Religion nennt der Theologe den Widerstand der südafrikanischen Kirche gegen die Apartheid und die Existenz der Befreiungstheologie in Lateinamerika.
 
Der Islam ist nach Ansicht des Theologieprofessors weniger stark mit dem kapitalistischen Wirtschaftssystem verknüpft als das Christentum. Das liege daran, dass mehr Muslime den Kapitalismus als westliches Modell infrage stellten, schreibt Duchrow. Im Islam gebe es ausserdem nach wie vor ein Zinsverbot.

Sparen unerwünscht

Eine wachsende Initiative fordert ein Geldsystem ohne Zins. Die Idee stammt vom Wirtschaftsphilosophen Silvio Gesell und wird immer wieder heiss diskutiert. Diese Idee wird schon praktiziert. Im Chiemgau (Südost-Oberbayern) hat der Euro Konkurrenz: In mehr als 600 Geschäften der Region kann man mit dem Chiemgauer bezahlen – einer alternativen Währung. Sparen ist unerwünscht, auf schwankende Zinskurse spekulieren gar nicht möglich. Statt Zinsen liegt auf diesem Geld eine Umlaufgebühr: Bleibt es länger als drei Monate im Portemonnaie, verliert es zwei Prozent seines Wertes.
 
Geld soll sich nicht aus sich selbst heraus vermehren, sondern für Waren ausgegeben werden und so in der realen Wirtschaft kursieren und sie erhalten. Eine Welt ohne Zins ist eine Welt ohne unkontrolliertes Wachstum, Spekulationen und Finanzkrisen.

Geldmenge weitet sich aus

Eine Idee, die seit der Finanzkrise immer mehr Anhänger gewinnt und jetzt durch die Eurokrise im Internet für hitzige Diskussionen sorgt. «Freiwirte» nennen sich ihre Verfechter, die sich zum Teil in der Initiative für eine natürliche Wirtschaftsordnung organisiert haben. Auch in Kirchengemeinden und Sozialverbänden wird kontrovers und grundsätzlich über Zinsen diskutiert.
 
«Die Zinsen führen dazu, dass die Geldmenge immer weiter wächst. Überproportional wächst, denn es gibt viel mehr Geld als Waren», sagt Helmut Creutz, gelernter Architekt und die Galionsfigur der deutschen Zinskritik. «Das führt zu Instabilität, wie wir aktuell wieder sehen.»

Umverteilungsmaschine

Kunden geben das Geld aus, das sie als Lohn erhalten. Fast alle Unternehmen leihen sich Geld für die Produktion. Das Geld gehört den Sparern, verliehen wird es gegen Zinsen. Die Kosten der Zinsen werden beim Verkauf auf die Produkte aufgeschlagen.
 
So zahlen die Zinsen also die Käufer – auch die, die kein oder kaum Vermögen haben, das ihnen selbst Zinsen einbringt. «Eine gewaltige Umverteilungsmaschine», nennt Helmut Creutz den Zins. «Die Reichen werden reicher, die Armen ärmer.»

Silvio Gesells Rezept heisst: Zinsloses Geld, dessen «Horten» sich nicht lohnt, weil es durch eine Umlaufgebühr Wert verliert – ein Negativzins quasi, wie ihn der Chef der US-Notenbank, Ben Bernanke, auch schon vorschlug und damit für viel Aufregung unter den Bankern sorgte.

Leihen verleiht Macht

Wirtschaftsprofessor Thomas Huth von der Uni Lüneburg hält Gesells Lösungen für «zu einfach» für die grosse Geldwirtschaft. «Die Zinskritik hat jedoch einen Kern, über den es sich lohnt, nachzudenken», sagt der Ökonom: «Das Leihen und Schulden verleiht den Banken grosse Macht über die Staaten und damit die Gesellschaften. Das hat durchaus mit dem Zinssystem zu tun.»

Denkverbot?

In der etablierten Wirtschaftswissenschaft herrsche aber in Bezug auf die Theorien von Silvio Gesell quasi ein Denkverbot. «Die meisten Ökonomen haben sich in ihren Thesen festgelegt und weichen nicht mehr ab», kritisiert Huth. Hinzu komme, dass Gesell und die Zinskritik zum Teil als antisemitisch kritisiert würde, da Juden historisch bedingt in der Zinswirtschaft arbeiteten. Huth: «Wer sich mit den Ideen von Gesell befasst, gilt leider schnell als Spinner oder Sektierer.»

Zum Thema:
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Quelle: Epd

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