Alternative für die Gesellschaft

Gibt es eine göttliche Wirtschaftsordnung?

Die globalisierte Marktwirtschaft ist mit ihrem all umfassenden Anspruch zu einer Art Ersatzreligion geworden. Alles dreht sich um die wirtschaftliche Rentabilität. Die Dominanz des wirtschaftlichen Denkens über alle Lebensbereiche steht damit im Gegensatz zum Anspruch, den christlichen Glauben als prägenden Faktor für alle Lebensbereiche aufzufassen.

Was ist dazu aus einer biblischen Sicht zu sagen? Es gibt eine «göttliche Wirtschaftsordnung», behauptet kühn ein Kreis von christlich orientierten Cambridge-Dozenten. Einer ihrer Vertreter hat die fünf Bücher Mose – den Pentateuch – auf wirtschaftliche Aussagen hin untersucht und daraus ein «göttliches Wirtschaftsmodell» gemacht.

Biblisches Wirtschaftsmodell

Das Grundproblem der Wirtschaft ist, dass die Anreize, welche Effizienz und Wachstum fördern, gleichzeitig zu Ungleichheit führen, eröffnet Cambridge-Dozent Paul Mills seine Abhandlung: «Das biblische Gesetz bietet ein Wirtschaftsmodell an, welches unsere heutigen Anliegen der Effizienz und der Fairness umsetzt, jedoch die Probleme unseres westlichen Modells vermeidet. So erreicht es, was Ökonomen der letzten 250 Jahre angestrebt haben, und eröffnet eine Reihe von innovativen Reformideen. Die Schönheit seines Konzepts aus dem ökonomischen Blickwinkel ist bisher noch wenig beachtet worden.

Warum biblische Gesetze für wirtschaftliche Probleme?

Könnte das biblische Modell eine gangbare Alternative bieten? Diese Möglichkeit ist bisher ausgeschlossen worden unter der Annahme, dass die wirtschaftlichen Vorkehrungen des biblischen Gesetzes nur für das alte Israel, nicht aber für spätere Gesellschaften gedacht gewesen seien; technische Veränderungen solche Lehren irrelevant machen; das Gesetz durch Jesus abgelöst worden sei.

Der Ungehorsam des alttestamentlichen Volkes Israel bewirkte, dass die ökonomischen Vorgaben des biblischen Gesetzes selten, wenn überhaupt, ganz eingehalten wurden. Das will aber nicht heissen, dass sie nicht geschaffen gewesen wären, praktische wirtschaftliche Weisheit von universeller Bedeutung zu vermitteln.

Es fällt auf, dass Israels Verbannung nach Babylon sogar ganz auf seine Missachtung des Sabbatjahres für das Land zurückgeführt wird. Auch die Weisheitsbücher sind voll von Hinweisen, dass Gottes Gesetz praktische und nicht nur geistliche Weisheit vermittle, und das Gesetz selber verspricht, dass der Gehorsam gegenüber dem Gesetz Wohlstand zur Folge hat. Tatsächlich verspricht die Bibel sogar einen «Handelsüberschus»“, wenn man sich an das Gesetz halte. Diese Versprechen gründen auf der Annahme, dass das Modell wirtschaftlich Sinn mache.

Das Bemerkenswerte ist, dass die wirtschaftlichen Vorkehrungen des biblischen Gesetzes als Ganzes einen einheitlichen Rahmen bilden, der unser Trachten nach Fairness und Effizienz besser befriedigt als unser heutiges Wirtschaftssystem. Der Schlüssel zum Verständnis des biblischen Modells ist, dass die Produktion und der Verkauf der Güter fast vollständig den unbehinderten Marktabläufen überlassen wird, während die Gesetze betreffend Arbeitskräfte, Landbesitz und Finanzen eng umschrieben sind, um ein minimales Einkommen und Wohlstand für alle zu garantieren. Im Sprachgebrauch der Ökonomen gesagt, zielt das Modell auf relativ uneingeschränkten Markt für Produkte, während der Markt für die Produktionsfaktoren (Arbeitskräfte und Boden) streng kontrolliert und gelegentlich vorgeschrieben wird.

Zwei Leitsätze

Die zwei Leitsätze, welche sich durch diese fundamentale Erkenntnis hindurchziehen, sind folgende:

a) Eine annähernde Gleichheit von Besitz, Einkommen und Chancen wird ohne einen grossen zentralisierten Staat gefördert.

b) Die Interessen der Finanzwelt sind den Interessen der zwischenmenschlichen Beziehungen untergeordnet.

Plafonierte und lineare Einkommensbesteuerung

Ein zentralisiertes Steuersystem auf Einkommen, Vermögen und Ausgaben war unnötig dank dem begrenzten Staatsapparat. Stattdessen waren das System zur Verfolgung von Straftaten und das Militär so strukturiert, dass keine Polizeimacht, keine Gefängnisse und keine ständige Armee nötig waren. Die Abgabe des Zehnten (teils) auf dem Einkommen ging an die Bedürftigen vor Ort, an die Priester und Leviten, und an religiöse Feste. Somit gab es nur wenige äusserliche Negativ-Anreize auf Arbeit und Sparen.

Ein stabiles Währungs- und Preissystem

Die Indizien weisen darauf hin, dass Edelmetalle, anfänglich als feste Gewichte und später als Münzen, verwendet wurden, um den Handel anzutreiben, indem der Tauschhandel ersetzt wurde. Dies sicherte einigermassen stabile Preise in Israel über hunderte von Jahren und förderte damit das Sparen und den Handel, indem die Werte stabil blieben.

Klare Gesetzestexte

Das biblische Gesetz definierte das Besitzrecht und machte Vorgaben für die Bezahlung von Schulden. Während das Besitzrecht auf Landeigentum eingeschränkt war und Schulden periodisch erlassen wurden, gab es doch klare diesbezügliche Gesetzestexte, welche auch Strafen wie Bussen für Diebstahl oder Fronarbeit für Nichtbezahlung von Schulden mit einschlossen.

Wie wir heute aus dem Fehlschlagen kommunistischer Wirtschaftssysteme wissen, bewirkt das Fehlen klarer Besitzrechte eine Investitionsunlust und eine Tendenz zur Hamstermentalität. Ökonomen beginnen auch erst zu verstehen, wie wichtig klare Besitzrechte sind, wenn unbemittelte Agrarbevölkerungen sinnvolle Landentwicklung betreiben sollen.

Beschränkte Macht des Staates

Die urspünglich vorgesehene Gesellschaftsstruktur Israels sah keine privilegierte Schicht vor, die von der Arbeit unterer Schichten leben sollte. Sie wollte auch keinen königlichen Hof oder eine Aristokratie. Auch als schliesslich ein König eingesetzt wurde, begrenzte das Gesetz die Grösse und den Reichtum des königlichen Haushalts. Diese gezielte Einschränkung der Monarchie war für die damalige Zeit einmalig. Das Fehlen einer strengen Hierarchie bedeutete, dass es keinen Grund gab, produktive Arbeit zugunsten von Lobbyieren bei den Mächtigen zu vernachlässigen. Bestechung wurde streng verurteilt.

Die Kombination von tiefen Steuern, kleinstaatlichen Infrastrukturen, stabilen Preisen und verlässlichen Besitzrechten dürfte stark zum wirtschaftlichen Wachstum beigetragen haben, indem sie zur Arbeit, zum Sparen und zum Investieren anspornte. Unter den richtigen Voraussetzungen haben sich freie Märkte gegenüber Bürokratien als überlegen erwiesen, wenn es darum geht, Informationen über wünschbare Produktion und vorteilhafte Technologien zu verarbeiten.

Diese Faktoren der Wohlstandsförderung dürften noch verstärkt worden sein durch den freien Handel von Produktionsüberschüssen im Binnen- wie auch im internationalen Markt.

Landbesitzwechsel

Als die Israeliten in Kanaan einwanderten, wurde der Boden ziemlich gleichmässig auf die Bevölkerung verteilt. Er wurde anscheinend zufällig zuerst den Stämmen, dann den Sippen und schliesslich den Familien zugeteilt. Die Erbschafts- und Jubeljahrgesetze sorgten dafür, dass diese gerechte Verteilung auch in späteren Generationen gewährleistet blieb. Das Gesetz sah einen Pachtmarkt vor, so dass Familien in Not bis zum nächsten Jubeljahr (alle 50 Jahre) vom Marktwert ihrer Ressourcen profitieren konnten. Diese Vorkehrung erlaubte es, Land vorübergehend jenen zu leihen, die den besten Gebrauch davon machen konnten. Ein freier Markt des landwirtschaftlichen Bodens war jedoch verboten. Keine Familie konnte ihr Land für immer verkaufen. Im nächsten Jubeljahr musste das Land an die ursprüngliche Familie zurückgehen, unabhängig davon, wer es in der Zwischenzeit gepachtet hatte.

Diese ökonomische Neuheit hatte zahlreiche Folgen. Das Jubeljahr garantierte, dass die ursprüngliche Grossfamilienstruktur erhalten und auf Urahnenboden verwurzelt blieb. Es verhinderte, dass reiche Familien oder Darlehensgeber Landbesitz anhäufen konnten. Es bedeutete auch, dass jeder und jede noch so Mittellose wenigstens einmal im Leben auf dem Land der Ahnen arbeiten konnte. So war das Jubeljahr auch ein Bollwerk gegen die Entstehung einer Schicht von permanent Armen und Landlosen.

Einschränkungen auf dem Arbeitsmarkt

Obwohl ein relativ freier Arbeitnehmermarkt hätte entstehen können, dürften die Vorgaben des biblischen Gesetzes die Mindestlöhne über dem Existenzminimum gehalten haben. Die gesetzliche Verpflichtung des Arbeitgebers zur rechtzeitigen Bezahlung des Lohns sowie zur Gewährung von Sicherheit am Arbeitsplatz zeigt, wie detailliert sich das Gesetz um den Schutz des Arbeitnehmers kümmerte. Die Sabbathgesetze unterstrichen gleichermassen die Priorität der Beziehung zu Gott und der Familie gegenüber materiellen Forderungen und dämpfte den Druck auf die schwächeren Arbeitskräfte.

Das Zinsverbot

Die Bibel sieht auch zinsfreie Darlehen zwischen Familien- und Gemeindemitgliedern vor, als massgebliches Mittel zur Linderung von Armut. Es verbietet sogar ausdrücklich, dass Zinsen auch auf kommerziellen oder Konsumanleihen erhoben werden, mindestens innerhalb des Volkes Israel. Folglich gab es keinen Markt für Geldanleihen – was noch durch die Gesetze verstärkt wurde, welche den Erlass aller Schulden (und Schuldsklaverei) alle sieben Jahre vorschrieben.

So hatte das biblische Modell einen starken Grundzug in der Sorge um die Armen. Und doch war sein Ansatz zur Verteilung von Einkommen und Besitz radikal anders als das uns bekannte System der Umverteilung durch Steuern und Sozialversicherungen.

Schlussfolgerungen

Das Wirtschaftsmodell, das in den biblischen Gesetzen enthalten ist, transzendiert die übliche Diskussion, ob Effizienz oder Gleichheit in der Wirtschaftspolitik vorrangig seien. Indem es das Besitzrecht und den Markt der Produktionsfaktoren reguliert, zielt es auf die Erhaltung des Zugangs zu den Produktionsmitteln für alle und eine annähernde Gleichheit in deren Verteilung, ohne dabei einen Staatsapparat zu bemühen oder die Anreize zur Produktion zu schmälern. Damit stellt es einen radikalen «dritten Weg» dar, der sich echt von Kapitalismus und Sozialismus unterscheidet.

Diese Einmaligkeit des biblischen Wirtschaftsmodells ist ein weiterer Hinweis auf Gottes liebevolle Vorsehung und die Inspiration der biblischen Schriften. Erst nach 250 Jahren wirtschaftlichen Denkens und zahlreichen Experimenten mit verschiedenen Alternativen beginnen wir die Grösse seiner Weisheit zu begreifen. Es führt uns zur überraschenden Erkenntnis, dass Gott letztlich auch ein Ökonom ist.

Zum Autoren

Dr. Paul Mills schloss sein Hochschulstudium in Wirtschaft an der Universität von Cambridge ab und arbeitete als Forscher am Jubeljahr-Zentrum, bevor er an die Universität zurückkehrte. Seit seinem Doktorat arbeitet er als Ökonom und Finanzspezialist bei der Staatskasse. Die hier vorgebrachten Ansichten sind gänzlich seine persönlichen und nicht diejenigen einer Organisation.

Autor: Paul Mills (Übersetzung: Matthias Kägi)


Autor: Hanspeter Schmutz
Quelle: VBG

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